Montblanc-Rundweg

Zwei Jahre nach der Alpenüberquerung schnürte ich mit meinen Wanderfreunden wieder einmal die Stiefel und umrundete bei Traumwetter die atemberaubende Montblanc-Gruppe durch Frankreich, Italien und die Schweiz.

Zum Wandern braucht man mich nicht lange überreden. Eigentlich muss man mich zu fast nichts überreden – vielleicht dazu, endlich mal wieder zum Recyclinghof zu gehen oder Frösche zu streicheln, aber sicher nicht zu einem Wanderurlaub. Und nachdem die Gesellschaft mit Sarah und ihrer Familie schon beim E5 so überaus angenehm war, buchte ich also auch wieder die Reise zum Montblanc-Rundweg. Tami, die uns über die Alpen noch begleitet hatte, war schon im Norden verplant und so war in unsrer 6er-Gruppe ein freier Platz für Tobi, der sich als Reisefreund natürlich auch schon bestens bewährt hatte. Leider war seine Anreise aufgrund der Sperrung des Münchner Flughafens und dem Ausfall seines Flugs nach Genf etwas beschwerlicher als geplant, aber schließlich konnten wir ihn am Abend doch noch an unserem Startpunkt in einem 200 Jahre alten, frisch renovierten Bauernhof in Les Contamines willkommen heißen. Phil Bosmans schrieb: „Humor und Geduld sind Kamele, mit denen wir durch jede Wüste kommen.“ Humor und Geduld waren somit mehr als ausreichend vorhanden, so galt es also nur noch herauszufinden, ob die Montblanc-Umrundung einer Wüstentour gleicht oder auch wieder die eine oder andere Oase für uns bereithält.

Gleich am ersten Tag standen zahlreiche wüste Zahlen auf unserem Plan: 1400 Höhenmeter Anstieg und 700 Höhenmeter Abstieg waren angesagt. Das stellte die überschaubaren Trainingswanderungen auf den mickrigen Hügeln des Neckartals durchaus in Frage, beziehungsweise zumindest einmal auf die Probe. Durch zunächst noch dichten Wald ging es im grünen Tal Schritt für Schritt nach oben. Spätestens als es aber nach der Baumgrenze in die felsigere Landschaft und sogar über ein kleines Schneefeld ging und die Murmeltiere uns aufmunternd hinterherpfiffen, waren die Wanderendorphine wieder voll am Start und die letzten Höhenmeter zum Col du Bonhomme auf 2329m liefen sich fast wie von alleine. Der Ausblick auf die zahlreichen Gipfel, Felsen, Schneefelder und den wolkenlosen, strahlend blauen Himmel tat dann sein Übriges und nach einem reichhaltigen Picknick mit Käse, Schokolade und Brot aus der Region und einem kurzen Mittagsschlaf in der wärmenden Sonne ging es auf einem wunderschönen Grat neben glänzenden Schieferfelsen zum Crête des Gittes auf 2538m. Von diesem aus konnten wir aufgrund des Traumwetters auch den ersten Blick auf den weißen Gipfel des Montblancs genießen. Wie ein König thront der höchste Berg Europas über seinem Bergmassiv und streckt seine weißen Finger dem blauen Himmel entgegen. Glücklich, die erste Herausforderung erfolgreich gemeistert zu haben, stiegen wir angenehm über breite Wege und Wiesen Richtung Roselendpass ab. Auf dem Weg kamen wir an einer mobilen Melkstation vorbei,  durch die ein Hütehund seine Kuhherde von der einen Weide auf die andere trieb. Mit dem Taxi ging es dann noch ein paar Kilometer weiter in ein kleines „Handy-Detox-Dorf“ namens Les Chapieux, wo wir mit Brennnesselsuppe, Bier und anderen Leckereien gestärkt wurden und unserer Füße im kalten Gebirgsfluss akühlen konnten. Außerdem war Zeit für ein paar Pläuschchen mit den weiteren sechs Teilnehmern unserer sehr harmonischen und humorvollen Reisegruppe und unserem wunderbaren Reiseführer Cedric, der uns die ganze Woche über äußerst aufmerksam und begeisternd durch seine Heimatregion führte.

Tag 2 begann schließlich mit der Besichtigung einer kleinen Sennerei in la Ville des Glaciers, wo wir von einem waschechten Franzosen mit Schnurrbart, Mütze und Fluppe im Mundwinkel die Kunst der Käseproduktion vorgeführt bekamen. Cedric übersetzte glücklicherweise für uns. Obwohl ich Französisch in der Schule gelernt habe, klingt es für mich teilweise wie die eine Aneinanderreihung verschiedener Bauernhoftierlaute und das rasante Sprechtempo und eine mir unerklärliche Vorliebe für das Zusammengepuzzle bei Zahlwörtern machen die Kommunikation nicht unbedingt leichter. Für das mittägliche Picknick wurde wieder ordentlich Käse eingepackt und dann ging es wieder bergauf. Der Weg war diesmal weniger ansprechend, die Luft sauerstoffärmer und wärmer, sodass der Anstieg teilweise so anstrengend war, dass es sich nicht einmal mehr lohnte, während den einzelnen Atemzügen den Mund zu schließen. Gemäß dem Motto „No talking – just walking“ setzten wir also einen Fuß nach dem anderen voreinander um Höhenmeter für Höhenmeter unter uns zu bringen. Die bunten Blumen, Schmetterlinge und frischen Gebirgsbäche, an denen wir unsere Trinkflaschen füllen konnten, sorgten für etwas Zerstreuung und so ging auch der harte Anstieg zum Col de la Seigne auf 2517m irgendwann zu Ende. Der Ausblick dort entschädigte für die Anstrengung der vergangenen Stunden: die raue Südseite des Montblanc-Massivs mit spitzen Gipfeln und eisblauen Gletschern zeigte sich in voller Pracht und lag beim Überschreiten der Grenze zwischen Frankreich und Italien und bei unserem folgenden Abstieg komplett vor uns. Im Val Veny wurden wir dann von faszinierenden Eisströmen der Gletscher begleitet, welche in Eisbonbonfarben neben uns herflossen. Der Bus führte uns schließlich nach Courmayeur, wo „la dolce Vita“ mit einer großen Portion Gelato, Pasta und Vino Rosso auf uns wartete.

Der nächste Tag führte uns zu einer kleineren Wanderung ins Val Ferret, welches mit Flüssen, Nadelwäldern und Felsen auch locker in Nordamerika liegen könnte. Die 300 popeligen Höhenmeter meisterten wir mit links und konnten uns so den Ausblick auf die wilde Südseite der Montblanc-Gruppe voll auskosten. Cedric versorgte uns mit allerlei Infos und leckerem Käse und Obst an einer traumhaft gelegenen Berghütte, bevor wir gemütlich wieder abstiegen und erneut in Courmayeur das italienische Kleinstadtleben und Essen genießen durften.

Etwas felsiger und tatsächlich auch einmal etwas wolkiger ging es dann zur Halbzeitwanderung weiter in die Schweiz. Der ruhigere Tag hatte neue Kräfte freigesetzt und so war Cedric nach unserem Aufstieg aus dem Val der Ferret zum Grand Col Ferret auf 2537m mit eigentlich sowieso schon wieder atemberaubenden Ausblicken motiviert für eine „Variant“ die uns nochmal einige Höhenmeter näher an den Mont Dolent, dem „Drei-Länder-Eck“ der Montblanc-Gruppe, heranbrachte. Über einen schmalen Grat stiegen wir schließlich Richtung Schweiz ab, wo zunächst breitere Wege und schließlich auch immer dickere und dunklere Gewitterwolken auf uns warteten. Die Tropfen warteten allerdings höflichst bis wir im Transfer-Bus saßen, sodass wir trocken durch das Wallis nach Champex du Lac kamen. Dabei überholten wir den Regen, sodass wir auch noch einen kurzen Abkühlsprung in den namensgebenden See wagen konnten, bevor wir uns vor dem Regen in das etwas in die Jahre gekommene Berghotel, das mich an ein kleines „Grand Budapest Hotel“ erinnerte, zurückziehen konnten. Zur Feier des zufällig an diesem Abend stattfindenen Schweizer Nationalfeiertags gab es schließlich im Speisesaal des Hotels leckeres Raclette, von unserern zwei mitwandernden Schweizerinnen ebenso leckere Schokolade und im Ort ein Fest mit Feuerwerk, von dem wir allerdings aufgrund der doch etwas anstrengenden Wanderschaft und der ausgeprägten abendlichen Müdigkeit eines Wanderers nur noch ein paar Funken sehen konnten.

Wir und das Wetter hatten sich über Nacht bestens erholt und so ging es los zum härtesten Anstieg der Woche, am See und kleinen Wasserkanälen, die das Gletscherwasser ins Tal bringen, entlang Richtung Fenêtre d’Arpette auf 2665m. Diese alpine Variante des offiziellen „Tour du Mont Blanc“ ist anspruchsvoller, aber natürlich auch faszinierender. Viele Höhenmeter, mehrere Kletterpassagen, warme Temperaturen, die Gesellschaft schwarzer Kampfkühe und schwindelerregende Ausblicke galt es zu meistern. Belohnt wurden wir mit frischen Heidelbeeren, einem leckeren Picknick direkt am schmalen Fenster und mit Ausblicken auf den wunderschönen Trient-Gletscher mit riesigen Spalten und Türmen und das darunter liegende Tal, in welches wir anschließend wieder hinabstiegen. Die Berghütte dort war schon lange zuvor sichtbar, doch bis ich mein kühles Radler dort in den Händen halten durfte, verging jedoch noch einige Zeit. So machten mir dann aber die teuren Schweizer Preise nichts mehr aus und ich genoss schließlich eines der am längsten ersehnten und damit leckersten Getränke meines Lebens. Der Transfer brachte uns schließlich wieder nach Frankreich, wo wir im berühmten und bunten Chamonix unterkamen.

Die letzte Wanderung führte uns dann von dort aus auf den Südbalkon des Montblanc-Massivs. Es galt nochmals einige Höhenmeter hinter uns zu bringen, aber der Ausblick auf die weiße Schneedecke des „Monarchen“ und seiner Nebensitzer begleitete uns stets und hätte uns sicher den Atem stocken lassen, wenn dieser nicht aufgrund des Anstiegs nicht sowieso schon nur noch recht eingeschränkt vorhanden gewesen wäre. Zum vollen Genuss kamen wir dann aber schließlich bei unserer Mittagspause am Lac de Cheserys, in welchem sich (wie übrigens im daneben gelegenen und viel überlaufenderen Lac Blanc auch) das gesamte Bergmassiv spiegelt. Aufgrund des traumhaften Wetters konnten wir direkt eine Runde durch den See schwimmen und unsere Kleider anschließend beim Picknick mit den lieb gewonnenen Leckereien der letzten Tage in der strahlenden Sonne trocknen lassen. Das Kaiserwetter und der Ausblick auf die wunderschönen Gletscher lösen übrigens nicht nur schöne Gedanken aus, führen sie uns doch gerade in dieser Kombination eindrücklich vor Augen, dass der Klimawandel die Bergwelt krass verändert. Zwar ist es unbeschreiblich toll, in diesem Panorama in einem Bergsee schwimmen zu können, allerdings darf man nicht vergessen, dass gegenüber im gleichen Moment vom Mer de Glace kein wirkliches Eismeer mehr vorhanden ist und in den kommenden Jahren viele weitere Gletscherflächen verschwinden werden, was große Auswirkungen auf Mensch und Natur hat und haben wird. Dankbar für diese schöne Stunden stiegen wir schließlich zur Bergstation einer Seilbahn ab. Max und ich hatten nochmal einen richtigen Motivtaionsschub und probierten uns im Berglauf, bevor wir unseren Zieleinlauf mit kühlen Getränken und köstlichem Schoko-Kirsch-Kuchen feierten. Nach der Talfahrt brachte uns ein letzter Transfer, welcher für mich aufgrund der rasanter Fahrt durch zahlreiche Serpentinen fast mit einer Blumendüngung geendet hätte, zurück nach Les Contamines. Dort verbrachten wir alle gemeinsam einen schönen letzten Abend, schwelgten in den schönen Erinnerungen der letzten Tage und ich fühlte mich trotz der Anstrengungen wie immer beim Wandern äußerst gut erholt.

„Die Wanderschaft steht dir einfach gut,“ stellte Linda fest, als ich ihr meine Reisebilder zeigte und es ist wohl so wie der chinesische Philosoph Liezi vor über 1500 Jahren schrieb: „Des Wanderns Lust ist, dass man die Zwecklosigkeit genießt. Genüge im eigenen Selbst zu finden, das ist des Wanderns höchste Stufe.“ Der nächste Berg ruft also bestimmt schon bald…

 

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2 Gedanken zu “Montblanc-Rundweg

  1. Unsere „Höhenmeter-Kletter-Trekking-Tour“ hast du wirklich sehr treffend und humorvoll beschrieben. Mir stockte allerdings der Atem nicht nur wegen der spektakulären Bergwelt mit den grandiosen Gletschern und den traumhaften Aussichten ….manchmal half tatsächlich nur noch „Schnappatmung“ um den nächsten Grat zu erklimmen …..gell?

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